Sonntag, 10. Februar 2013

Der seltsame Fall des Edwin Drood

„Das Geheimnis des Edwin Drood“ - Musical-Premiere am 09. Februar 2013 im Theater Münster
 
Charles Dickens ist vermutlich jedem ein Begriff. Zumindest mir als Lesemuffel wirklicher Schriftstellerkunst war er allerdings nur im Zusammenhang mit Weihnachten ein Begriff und selbst an diese Geschichte erinnere ich mich nicht sonderlich, sodass ich vollkommen unvoreingenommen am gestrigen Abend meinen Platz im Theater einnahm.
 
Der erste Teil von „Das Geheimnis des Edwin Drood“ erschien 1870 als erste Kriminalgeschichte Dickens‘. Wenig später stellte sich heraus, dass es auch die letzte sein wird, denn noch bevor diese Geschichte vollendet werden konnte, starb Dickens und hinterließ keinerlei Notizen zur Auflösung der Geschichte. Bis heute haben viele Autoren Fortsetzungen geschrieben. Dabei gibt es die unterschiedlichsten Lösungen.
 
Der junge Edwin Drood ist Waise und lebt bei seinem Onkel John Jasper in Cloisterham, der allerdings, wie Edwin relativ zu Beginn sagt, nicht viel älter als er selbst ist, weshalb die zwei keinen sonderlichen Wert auf die Verwandtschaftsbezeichnungen legen. Bereits seit seinen Kindertagen hat sein Vater festgelegt, wen Edwin später heiraten soll – nämlich Rosa Budd. Rosa ist ebenfalls Waise, lebt im Mädchenpensionat und bekommt Gesangsunterricht von John, der ihr zuweilen allerdings Angst macht. John scheint ein Mann mit zwei Gesichtern zu sein, wirkt oftmals herrisch. Auch stattet er Prinzessin Puffer in ihrer Opiumhöhle einen Besuch ab.
 
Später tauchen Helena und Neville Landless aus Ceylon auf, die ebenfalls seit kurzem Waisen sind und nun in der Obhut von Hochwürden Crisparkle stehen. Neville und Edwin geraten schon bald aneinander, da Neville Edwins Verlobte – Rosa – begehrt. Neben diesen Charakteren gibt es noch den Steinmetz Durdles und dessen Gehilfen, die eine Gruft für die Frau des Bürgermeisters bauen und einen großen Hang zur Flasche haben. Um die Verwirrungen zu komplettieren, gibt es noch den geltungssüchtigen Bazzard.
 
Um Weihnachten herum beschließen Edwin und Rosa, dass niemand sie zu ihrer Heirat zwingen können und lösen die Verlobung einvernehmlich auf. Von nun an wollen sie Freunde sein. Nach einem handgreiflichen Streit zwischen Neville und Edwin hofft Bürgermeister Sapsea auf eine Versöhnung beim Weihnachtsessen. Doch als ein Gewitter aufzieht, verlassen die beiden das Haus und wollen zum Fluss gehen.
 
An diesem Punkt wendet sich die Geschichte, denn Edwin verschwindet an diesem Abend. Sechs Monate später erscheint der Detektiv Dick Datchery in Cloisterham und versucht den Fall aufzuklären. Die Geschichte endet mit einem Cliffhanger, denn niemand wird je erfahren welches Ende Charles Dickens für diese Geschichte vorgesehen hat.
 
Direkt zu Beginn des Stücks bemerkt der Zuschauer, dass er in keinem normalen Musical ist, denn der Prinzipal, der von Gerhard Mohr gespielt wird, spricht das Publikum direkt an. Anfangs ist dies doch etwas verwirrend, zumal er nicht nur die Rollen, sondern auch die Darsteller vorstellt. Hier muss man stark aufpassen, dass man alles richtig mitbekommt, sonst ist man sehr schnell verwirrt. Allerdings entstehen gerade durch diese Art des Theaters viele erheiternde Momente. So stellt er zum Beispiel die Rolle des John Jasper vor, der ein exzellenter Sänger muss, weshalb kein geringerer als Alex Herrig für diesen Part engagiert wurde. Und in der Tat sorgt Alex Herrig in der Rolle des John Jasper für einige gesangliche Gänsehautmomente. Er interpretiert seine Rolle auf eine eindrucksvolle arrogante, herrische Art.
 
Das Theater Münster hat für die Titelrolle eine namhafte Musicaldarstellerin engagiert, die seit ihrer Darbietung als Elphaba im Musical Wicked eine große Fangemeinde hinter sich stehen hat. Roberta Valentini liefert wie immer eine beeindruckende Leistung ab, allerdings ist ihre Fangemeinde auch nichts anderes gewöhnt. Auch wenn sie in diesem Stück ihre erotischen weiblichen Formen verstecken muss – auf diese Weise wird sie vorgestellt – weiß sie das Publikum in diesem Stück mit Melone zu verzaubern. Leider wird ihre Stimme gerade in sehr schnellen Sprechphasen etwas dünn, doch dieses Phänomen, dass die Stimme dann dünn wird, wenn sie scheinbar mit viel Kraft und Emotionen sprechen will, kennt man bereits aus Wicked. Auch wenn das zweifelsohne schade ist, ist es kein Beinbruch und wird durch ihre spritzige Art wett gemacht.
 
Rosa Budd wird charmant und lieblich von Julia Lißel dargestellt. Zu Beginn wirkt sie einfach nur süß in ihrem roten Kleid und man ahnt nicht welch eindrucksvolle Stimmgewalt hinter ihrer Person steht.
 
Peter Jahreis spielt den Mann Gottes – Hochwürden Crisparkle – des Stückes auf eine imposante Art und Weise, die Erinnerungen an Filme weckt.
 
Einen etwas merkwürdigen Eindruck haben die Geschwister Landless bei mir hinterlassen, die von Johanna Marx und Dennis Laubenthal gespielt werden. Helena Landless erinnerte mich die ganze Zeit an Prinzessin Jasmin aus Aladdin, während Neville an den dunkelhäutigen Vampir Laurent aus Twilight erinnert. Zumindest bei Johanna Marx merkt man auch, dass sie keine ausgebildete Sängerin ist. Dann wünscht man sich stellenweise, dass das Lied schnell vorbei ist.
 
Aurel Bereute und Tom Ohnerast imponieren als Durdles und dessen Gehilfe durch ihre komische Art. So kommen einem immer wieder Assoziationen zu Dick und Doof oder anderen Komiker-Paaren. Zu Recht ernten sie des Öfteren Szenenapplaus.
 
Den wohl größten Szenenapplaus des Abends bekommt Ilja Harjes in der Rolle des Bazzard, als er den Butler am Weihnachtsabend im Hause von John Jasper spielt. Eine große Doppelflügeltür, durch die Edwin und Rosa die Szene aus dem Sturm heraus betreten, wird durch den starken Wind, der vor dem Haus herrscht, offen gedrückt. In einer mehr als imposanten unbeholfenen Art und Weise versucht Bazzard die Tür zu schließen und weckt dabei Erinnerungen an das „Dinner for one“.
 
Suzanne McLeod spielt die verruchte Prinzessin Puffer und bringt dabei ihre Stimme eindrucksvoll zum Ausdruck.
 
Am Ende des Stückes stimmt das Publikum über den Mörder ab. An diesem ersten Abend war Prinzessin Puffer die Mörderin und durfte in einem Lied ihre Tat erklären. Für mich ist diese Entscheidung nicht schlüssig. Aber auch einige andere Kandidaten für die Rolle des Mörders sind meiner Meinung nach nicht schlüssig.

Das Stück ist wirklich sehr genial inszeniert. Immer wieder heitern kleine Szenen auf und Verknüpfen viele Assoziationen zu anderen literarischen Werken oder Filmen, wodurch einem alles irgendwie vertraut vorkommt. Aber nicht nur das, sondern viele kleine Dinge machen diese Show zu einem einzigen Erlebnis. Als Beispiel sei hier erwähnt, dass am Ende des Stücks Sitzreihen auf die Bühne gebracht werden und die Hauptcharaktere – oder doch die Darsteller? – dort Platz nehmen. Die erste Entscheidung, ob Edwin wirklich tot ist, wird vom Ensemble entschieden, allerdings darf Roberta bei dieser Entscheidung weder abstimmen noch zuschauen. Nach der einstimmigen Entscheidung, dass Edwin tot ist, wird sie von der Bühne gebeten, spielt herrlich überspitzt die Empörte und verlässt unter „Bye bye Roberta“-Rufen ihrer Kollegen die Bühne. Das Stück ist gespickt von solchen kleinen Verwebungen zwischen Stück und Privatem, die ihm einen einzigartigen Charakter verleiht. Nicht nur hier sieht man, wie viel Spaß die Cast bei diesem Stück hat.
 
Ein weiteres Beispiel für den Spaß bei der Sache konnten wir in der Pause erleben. Der Saal leerte sich relativ schnell. Plötzlich kam Axel Herrig in den Saal gestürmt und bat laut darum, dass man ihn als Mörder wählen solle, denn er hätte mit seinen Kollegen um eine Flasche Sekt gewettet.
 
Neben diesen vielen kleinen Aspekten ist es die gesamte Aufmachung des Stücks, die den Abend abrunden. Die Kostüme unterstreichen auf ihre liebevolle Art die Inszenierung, aber auch das Bühnenbild ist einfalls- und abwechslungsreich. Das Orchester sitzt nicht in einem Graben, sondern hat im hinteren Teil der Bühne seinen Platz.
 
Die weiteren Termine sind:
Freitag, 22.02., 19.30 Uhr
Dienstag, 26.02., 19.30 Uhr
Donnerstag, 07.03., 19.30 Uhr
Samstag, 16.03., 19.30 Uhr
Samstag, 23.03., 19.30 Uhr
Mittwoch, 27.03., 19.30 Uhr
Freitag, 05.04., 19.30 Uhr
Freitag, 19.04., 19.30 Uhr
Sonntag, 21.04., 15.00 Uhr
Samstag, 25.05., 19.30 Uhr
Freitag, 31.05., 19.30 Uhr
Samstag, 29.06., 19.30 Uhr
Dienstag, 09.07., 19.30 Uhr
 
Regieteam
Musikalische Leitung: Thorsten Schmid-Kapfenburg
Inszenierung: Karl Absenger
Bühne & Kostüme: Karin Fritz
Choreographie: Teresa Rotemberg
Choreinstudierung: Inna Batyuk
Dramaturgie: Jens Ponath
 
Besetzung
Prinzipal: Gerhard Mohr
Edwin Drood: Roberta Valentini
John Jasper: Axel Herrig
Rosa Budd: Julia Lißel
Hochwürden Crisparkle: Peter Jahreis
Helena Landless: Johanna Marx
Neville Landless: Dennis Laubenthal
Prinzessin Puffer: Suzanne McLeod
Durdles: Aurel Bereuter
Durdles' Gehilfe: Tom Ohnerast
Bazzard: Ilja Harjes
Horace: Lars Hübel
Inspizient: Tomasz Zwozniak
 
Tanztheater Münster
Opernchor
Sinfonieorchester Münster
Statisterie